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Österreichs Weinjahrgang - große Weine, kleine Menge

Nachdem die Jungweine quer durch Österreich degustiert und die ersten Resümees gezogen wurden, lässt sich mit tiefer Zufriedenheit feststellen, dass die Euphorie anlässlich der Weinlese 2006 durchaus gerechtfertigt war. Für den Wermutstropfen im österreichischen Weinglas haben jedoch Verrieselungsschäden gesorgt, die vor allem bei der niederösterreichischen Leitsorte Grüner Veltliner für drastische Ernteeinbußen verantwortlich waren, so dass nach der kleinen Ernte des Vorjahres wieder nur eine unterdurchschnittliche Leseernte von rund 2,3 Millionen Hektoliter verzeichnet werden konnte.

Weingarten, Copyright ÖWM / Lukan

Verrückte Witterung

Weingarten, © ÖWM / Lukan

Verrückte Witterung

Selbst wenn sich manche Weinfreunde nach dem ausgebliebenen diesjährigen Winter gar nicht so gerne zurück erinnern wollen: der Winter zu Beginn des Jahres 2006 war frostig, unerbittlich und lang und wurde noch dazu von einem feucht-kühlen Frühjahr, das seinen negativen Höhepunkt sozusagen im Monat Mai erreichte, gefolgt. Kein Wunder, dass Austrieb und Blüte der Reben in den österreichischen Weinfluren verspätet einsetzten und man allenthalben mit einem späten Jahrgang rechnete. Doch pünktlich zu Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft wendete sich das Blatt, und zwar in einer Heftigkeit, die auch ihre Schattenseiten hatte. Eben zur Hauptblütezeit des Grünen Veltliners stiegen die Temperaturen nämlich, vielfach durch Stürme begleitet, in derartige Höhen, dass die Befruchtung nur mangelhaft erfolgt, was sich in äußerst lockeren Trauben, durchsetzt mit winzigen, kernlosen  Beeren, geäußert hat. Daraus resultierten jene Mengeneinbußen, die beispielsweise in manchen Gegenden der Wachau, des Weinviertels oder am Wagram gerade die Hälfte einer Normalernte zuließen.

Ab Mitte Juni und den ganzen Juli über beherrschte drückende Hitze das Weinland, die wiederum pünktlich am 1. August von einer extrem kühlen und feuchten Witterungsperiode abgelöst wurde, die im Verein mit ohnehin reichlicher Winter-Feuchtigkeit für einen unverhofften, zusätzlichen „Wasserschub“ gesorgt hat. Nun waren die Winzer gefragt, die sehr aufwendige Laubarbeit zu leisten hatten. Wiederum mit dem Ersten des Monats brachte der September aber rasche Linderung in Gestalt prachtvollen Herbstwetters, das dann zur allgemeinen Überraschung eigentlich den ganzen Oktober anhielt; aber auch nach einem kleinen Schlechtwettereinbruch am ersten November-Wochenende konnten die hängen-gelassenen Trauben noch ohne Stress eingebracht werden. Für etwas Aufregung zwischendurch haben allenfalls die Regenfälle rund um den 20.September gesorgt, die beispielsweise in den südsteirischen Weinbergen rasche Vorlesen notwendig gemacht haben, was aber der Qualität gesamthaft keinerlei Abbruch getan hat.

2006er Weißweine – ein seltenes Phänomen wird wahr

Durch die beschriebenen Wetterkapriolen mit den drei Eckpfeilen „sehr heißer Juli“, „hohe Feuchtigkeit im Boden plus feuchter August“ und „selten schöner Altweibersommer im September und Oktober“ haben sich Weine mit einer wahrhaft phänomenalen Zusammensetzung gebildet: zum einen waren die Zuckergradationen so hoch wie in den Hitzejahren 2003 und 2000, zum anderen bewegten sich aber zuckerfreier Extrakt  und Säuregehalt auf dem Level eines „normalen“, sehr guten Jahres. Dieses seltene Zusammenspiel hat dazu geführt, dass ungewohnt dichte und großzügige Weine entstanden sind, deren hoher Alkoholgehalt aber von Extrakt und rassiger Säure so abgefedert werden, dass sie viel ausgewogener und beschwingter über den Gaumen gleiten, als man für möglich halten würde. Diese völlig unübliche Erscheinung hat dazu geführt, dass Vergleiche mit großen Weißweinjahren der Vergangenheit, wie 1947 und 1969, gewagt werden, die aber wegen der damals völlig andersgearteten üblichen Weinbaumethoden und Kellertechniken von vornherein ein wenig hinken müssen.

Jedenfalls konnten überall kraftvolle, ausgereifte Weißweine ohne jede Botrytis eingebracht werden; nicht ganz so leicht war die Kelterung der Sommerweintypen à la Steinfeder, da einerseits die Gradationen aus den genannten Gründen rasch davon liefen und andererseits eine gewisse „physiologische“ Reife jedenfalls abgewartet werden musste. Glücklich verlief unter diesen Begleitumständen zweifellos der Einstieg für jene Weingüter, die sich ausgerechnet mit dem Jahrgang 2006 dem biologischen Weinbau in seinen verschiedenen Spielarten verschrieben haben.

Exzellente Qualitäten quer durch den Sortengarten

Auch wenn das geschilderte Phänomen in allen österreichischen Weinbaugebieten aufgetreten ist, während sich die starken Ertragseinbußen in erster Linie auf den Grünen Veltliner konzentriert haben, ist doch die Qualität der einzelnen Rebsorten erstaunlich gleichmäßig und auf ganz hohem Niveau ausgefallen. In Niederösterreich konnte, wenn man von den ganz leichten Gewächsen absieht, die Spannweite des Grünen Veltliners ausgelotet werden: sehr feste und ausgewogene Weine der Kabinett-Kategorie, die sich schon durch Fruchttiefe und pfeffrige Würze auszeichnen waren ebenso möglich, wie die in diesem Jahrgang besonders gelungenen, mächtigen Kreszenzen der Reserveklasse, deren Standfestigkeit und Lagerfähigkeit einmal legendär werden könnte.

Rieslinge wie die 2006er, voll gepackt mit üppiger Frucht, enorm dicht verwoben und mit nervigem Säurebiss ausgestattet, und das alles ohne Botrytiseinfluß, sind in diesem Kontext in der österreichischen „Weinbau-Neuzeit“ unseres Wissens noch nie entstanden. Auch die Burgundersorten haben in diesem reifen Jahr sehr gut reüssiert und den gewohnten Schmelz mit tiefer Frucht verbunden.

Nicht nur in der Steiermark konnten knusprige und temperamentvolle Welschrieslinge ebenso gelesen werden wie die schönsten Muskateller seit langem, die Aromen von Zitrusschalen und Zimt mit traubiger Geschmeidigkeit vereinen. Apropos „Bukett-Sorten“: Klar, dass in einem Jahrgang mit hoher Reife und ausreichender Säure auch der schwierige Traminer seine Rolle als Diva unter den österreichischen Spitzenrebsorten bestens ausgefüllt hat. Die Sauvignons konnten schließlich mit viel Schmelz und zartem Aromenreichtum eingebracht werden, wobei Anklänge von Cassis und Holundermark diesmal gegenüber der paprizierten Würze im Regelfall die Oberhand behielten.

Kraft und Struktur – die Rotweine aus 2006

Etwas schwerer einzuordnen ist wegen des notwendigen Entwicklungsstadiums die Qualität der Rotweine, die sich in den beliebten Jahrgangstabellen aber einmal bei „ausgezeichnet“ oder „sehr gut“ einpendeln sollte. Hatte man anfangs befürchtet, dass die Vegetationsphase doch etwas kurz geraten war, wobei in den Rotweingebieten rund um den Neusiedlersee auch nicht endlos mit der Lese zugewartet werden konnte, wurden die prinzipiell hohen Erwartungen nach den ersten Verkostungsschlucken doch bestätigt. Während manche Rotweine aufgrund ihrer festen Struktur, der dunkelbeerigen Tiefe und des kräftigen Tanninrahmens am ehesten an den Jahrgang 2002 oder vielleicht 1999 erinnern, gibt es auch „kleine Monster“, die den „sizilianischen“ Jahrgang 2003 an Opulenz und Feurigkeit sogar noch übertreffen. Die allerbesten Rotweingewächse könnten nach der entsprechenden Fassreife vermutlich jene werden, die beide Attribute, also die Struktur der besten 2002er sowie den Druck und Schmelz der gelungensten 2003er, in sich vereinen.
Was die einzelnen Sorten betrifft, so erscheinen Pinot und St. Laurent, und zwar auch in den niederösterreichischen Rotwein-Enklaven, ebenso gelungen zu sein wie der Zweigelt, der vielerorts punkto Definition und Tanninstruktur an den Blaufränkischen zu erinnern vermag. Über die Gebiete hinweg reüssiert haben auch die Blaufränkischen, die mit Saft und Kraft wie feinen Linien brillieren. Was die französischen Globetrotter betrifft, so lässt sich vorerst erahnen, dass die Merlots mit Schmelz und dichtem Körper punkten werden, während für Cabernet und Syrah die kurze Vegetationszeit doch zu etwas härteren, langsam ausbauenden Exemplaren führen könnte.

Leckereien der Extraklasse

Nachdem der Jahrgang 2005 zwar keine großen Mengen, aber ungemein ausgeglichene Süßweine erbracht hat, die mitunter mit den Jahrgängen 1995 und 2002 verglichen wurden, war man im vorigen Herbst anfangs skeptisch, weil sich die Botrytis aufgrund des Bilderbuch-Herbstwetters nur ganz zögernd entwickelt hat und von Frostnächten, wie sie für die Kelterung von Eisweinen unumgänglich sind, schon gar keine Rede war. Spät, aber doch hat dann Ende November ein kräftiger Botrytis-Schub eingesetzt, der dazu geführt hat, dass in den wichtigen Süßwein-Hochburgen des Seewinkels auch entsprechende Mengen eingefahren werden konnten. Interessanterweise war die Edelfäulebildung in der alten Freistadt Rust schon früher von statten gegangen, so dass mit einer ausreichendes Anzahl an Ruster Ausbrüchen, und zwar teilweise von schwindelerregender Gradation, zu rechnen ist. In Niederösterreich dürften am ehesten in der Thermenregion hochgradige Dessertweine zu erwarten sein, da sich ja der Witterungsverlauf – ganz im Gegensatz zum Vorjahr – nicht unbedingt für ein schrittweises Ernten und Selektionieren angeboten hatte. Qualitativ werden die besten süßen Leckereien aus 2006 mitunter sogar an das hochgelobte Vorjahr anschließen können.