Vor zwanzig Jahren galt eine rote Cuvée, gereift in teurer neuer französischer Eiche, für so manchen österreichischen Winzer als Höhepunkt der Weinmode. Aber die Zeiten haben sich geändert – neue Eiche ist heute nicht mehr das Maß aller Dinge.

Die Weinerzeuger von heute kredenzen Ihnen lieber ihren „Orange Wine“ oder eine spezielle Cuvée ohne Schwefelzusatz – vielleicht sogar einen „Natural Wine“. Gelegentlich verwenden sie auch Begriffe wie „Raw Wine“, „Maischekontakt“ oder das Adjektiv „maischevergoren“.

Ein Bild zeigt zwei Gläser Natural Wine.

Natural Wine & Raw Wine

Ein Bild zeigt ein Glas Orange Wine.

Orange Wine

Natural Wine & Raw Wine

Natural Wine“ bildet – gemeinsam mit „Raw Wine“ – die größte dieser Kategorien.  „Natural Wine“ ist ein Begriff, der sich in den letzten zehn Jahren zunehmend als Bezeichnung für Weine durchgesetzt hat, die mit geringstmöglichem Eingriff bei der Vinifikation durch den Winzer hergestellt werden.

In Österreich dürfen ausschließlich biologisch wirtschaftende Betriebe Landwein mit Trübung und oxidativer Note als „natural wine“ in Verkehr bringen. Dies gilt auch für Wein ohne nähere Herkunftsbezeichnung als Österreich. Bei diesen Weinen darf keine Anreicherung zur Erhöhung des natürlichen Alkoholgehaltes, keine Süßung und kein Zusatz von Weinbehandlungsmitteln außer Bentonit und schwefliger Säure erfolgen; der zulässige Höchstgehalt an schwefliger Säure beträgt 70 mg/l inklusive der Analysetoleranz. Angaben wie „Naturwein“ sind bei sämtlichen Weinen auf dem Etikett nicht zulässig.

Ein Bild zeigt eine Rebzeile in einem sehr naturbelassenen Weingarten.
© ÖWM/Blickwerk Fotografie

Grundgedanken

Die Anfänge der Natural-Wine-Bewegung liegen im Frankreich der 1980er-Jahre. Zu jener Zeit begannen Jules Chauvet und Jacques Néauport zu experimentieren, wie man Wein ohne Einsatz von Antioxidationsmitteln und das Konservierungsmittel Schwefeldioxid herstellen kann. Seitdem hat sich „vin nature“ zu einer facettenreichen globalen Gegenkulturbewegung entwickelt, die sich der Homogenisierung, Industrialisierung und der Kultur der Parker-Punkte entgegenstellt, welche die 1990er- und 2000er-Jahre dominierte.

Was sagt das über die Flüssigkeit in der Flasche aus? Entsprechend der gängigen Meinung beinhaltet die Idee des Natural Wine folgende Grundsätze:

  • biologischer oder biodynamischer Weinbau – egal ob mit oder ohne Zertifizierung
  • von Hand gelesene Trauben
  • spontane Gärung ohne Einsatz von Zusatz- und/oder Laborhefe
  • keine Zusätze zum Most bzw. keine Anpassungen des Mosts: keine Säuerung, keine Chaptalisation und kein Zusatz von Hefenährstoffen oder Enzymen
  • keine starke Bearbeitung des Weins, z. B. mittels Schleuderkegelkolonne, Umkehrosmose, Mikrooxygenierung oder Kryoextraktion
  • keine Filtration
  • keine Schönung
  • minimale oder gar keine Schwefeldioxidzugabe

Die oben angeführte Definition wurde vom Decanter Magazin für eine Natural Wine Verkostungssrunde im Jänner 2017 übernommen.

Glühende Verfechter von Natural Wine würden außerdem bestehen auf:

  • absolut keinen Zusatz von Schwefel
  • keine Hemmung der malolaktischen Gärung bei Weißweinen
  • keinerlei Beeinflussung der Gärungstemperatur, egal wodurch auch immer
  • kein Einsatz neuer Eiche

Weitere Definitionsversuche

Obwohl es keine einheitliche Definition gibt, haben eine Reihe von Erzeugerverbänden und andere Organisationen versucht, die Produzenten auf freiwilliger Basis zu klassifizieren und zu zertifizieren. Die „Raw Wine“-Messe, die auf dem Weg ist, sich zu einer der weltweit führenden Messen für Natural Wine zu entwickeln, legt strenge Qualitätskriterien fest für Weine, die ebendort präsentiert werden dürfen, unter anderem eine Obergrenze von 70 mg Schwefeldioxid pro Liter Wein – das ist weniger als die Hälfte der nach EU-Recht für trockene Standardweine zulässigen Menge.

Es gibt zahlreiche Erzeugerorganisationen, und alle haben leicht voneinander abweichende Regeln – manche strenger, manche etwas lockerer. Dazu gehören „Renaissance des appellations“ in Frankreich, „Triple A“ in Italien (bei beiden sind österreichische Weingüter Mitglied) und „ViniVeri“, ebenfalls in Italien (auch mit internationalen Weingütern als Mitglieder, derzeit jedoch ohne Österreicher).

Ein Bild zeigt Holzfässer, ein Betonei und Stahltanks in einem Weinkeller.
© ÖWM/Robert Herbst

Konsequenz in Weingarten & Keller

Eine berechtigte Frage an dieser Stelle wäre: „Reicht es nicht aus, einfach zertifiziert biologisch und/oder biodynamisch zu sein?“ Die Antwort wäre komplex. Tatsache ist jedoch, dass diese Anbaumethoden nicht alles kontrollieren, was im Weinkeller vor sich geht, obwohl sie bereits niedrigere SO2-Gesamtgrenzwerte als bei konventionellen Weinen vorgeben und einige Weinbehandlungsmethoden ausschließen. 

Ein Erzeuger kann eine Bio-Zertifizierung haben und als Ausgangsmaterial über hervorragende, sogar biodynamisch angebaute Trauben verfügen, im Keller dann jedoch eher konventionell arbeiten. An dieser Stelle könnte man argumentieren, dass beim Kunden dadurch eine Fehlannahme entsteht: Dieser sieht die biodynamische Zertifizierung auf der Flasche und erwartet daher ein Produkt, das eher „natürlich“ und weniger „industriell“ ist. Die Natural-Wine-Bewegung geht auf dieses Problem ein, indem sie anerkennt, dass Konsequenz im Weinkeller ebenso wichtig ist wie im Weingarten, das heißt, dass auch im Weinkeller eine möglichst naturnahe Behandlung der Trauben und des Weins erfolgen sollte.

Kritik

Die amerikanische Schriftstellerin und Journalistin Alice Feiring und die in Großbritannien ansässige Isabelle Legeron MW sind zwei der bekanntesten Unterstützerinnen und Kommunikatoren von Natural Wine. Beide sprechen von Natural Wine als so „lebendig“, wie es industriell hergestellte Weine nicht sein können. Legeron beschreibt sie so: „Gute Natural Wines sind vibrierend und lebendig und zeigen aufregende unterschiedliche Charaktere voller Emotionen.“

Die Kategorie ist umstritten, und manche Weinkritiker und Experten behaupten, dass es lediglich darum gehe, mögliche Fehler in einem Wein zu verzeihen. Liebhaber von Natural Wine finden nichts Verwerfliches an einem trüben Wein oder an Weinen mit auffälligem Depot – ein Umstand, der ausreichen würde, um einen Wein aus den Regalen der meisten Supermärkte zu entfernen, in denen ästhetische Konformität und Fehlerfreiheit als Regel gelten.

Natural Wines können manchmal auch einen höheren Gehalt an Brettanomyces oder flüchtigen Säuren aufweisen, als herkömmliche Weinerzeuger normalerweise tolerieren würden. Ob diese Faktoren in einem bestimmten Wein „funktionieren“, ist zum Teil eine Frage des individuellen Geschmacks. Brettanomyces etwa gilt in manchen der weltweit renommiertesten Rotweine als – wenn auch nicht anerkannte – Schlüsselkomponente.

Ein Bild zeigt, wie ein Glas Orange Wine eingeschenkt wird.
Ein Bild zeigt ein Glas Orange Wine, das geschwenkt wird.
Ein Bild zeigt eine Person, die in ein Glas Orange Wine riecht.

Orange Wine

„Orange Wine“ wird oft mit „Natural Wine“ verwechselt, die beiden Begriffe werden gelegentlich auch fälschlicherweise als Synonyme verwendet. Während „Natural Wine“ auf eine breitgefächerte Kategorie – oder vielmehr auf eine ganz besondere Ideologie – verweist, so bezieht sich „Orange Wine“ schlicht und einfach auf eine spezielle Weinbereitungstechnik.

Der Name „Orange Wine“ wurde 2004 vom britischen Weinimporteur David A. Harvey geprägt und hat sich seitdem als gängige Bezeichnung für Weißweine etabliert, die einen längeren Maischekontakt bzw. eine verlängerte Mazeration durchlaufen haben (Tage, Wochen oder sogar Monate).

Ein Bild zeigt die Deckel von Amphoren, die in der Erde vergraben wurden.
© ÖWM/Carletto Photography

Eine Frage der Farbe?

So wie „Roséwein“ einen Wein aus roten Trauben mit sehr kurzem Maischekontakt bezeichnet, ist „Orange Wine“ ein Wein aus weißen Trauben mit verlängertem Maischekontakt während der Gärung. Dies hat dazu geführt, dass manche „Orange Wine“ als die „vierte Weinfarbe“ oder als „Weißwein, der wie Rotwein hergestellt wird“ bezeichnen.

Das österreichische Weingesetz macht Landwein mit Trübung und oxidativer Note verkehrsfähig, wenn er die Zusatzbezeichnung „Orangewein“ oder „orangewine“ trägt. Die Vorschrift ist ebenso auf Wein mit Angabe von Rebsorten und Jahrgang und ohne nähere Herkunftsbezeichnung als Österreich sowie Wein ohne Angabe von Rebsorten und Jahrgang und ohne nähere Herkunftsbezeichnung als Österreich anwendbar. Ein verlängerter Maischekontakt bei der Verarbeitung weißer Trauben ist demnach nicht gesetzlich geregelt.

Die Technik des längeren Kontakts mit der Beerenschale hat sich vor allem im ehemals österreichisch-ungarischen Gebiet der Adria etabliert, dem heutigen Friaul in Italien und dem slowenischen Goriška Brda. Verlängerte Schalenmazeration ist in diesen Regionen seit Jahrhunderten ein übliches Wein-Herstellungsverfahren. Ein slowenisches Weinbauhandbuch aus dem Jahr 1844 bestätigt dies. Sein Autor, der Priester Matija Vertovec, empfiehlt eine Mazeration zwischen sieben und dreißig Tagen sowohl für rote als auch für weiße Trauben.

Die weißen Trauben mit der Schale – und in manchen Fällen auch mit den Stielen – zu belassen, ist in der Republik Georgien eine noch ältere Praxis. Die hier verwendete Technik der Weinherstellung in „Qvevri“ (große amphorenähnliche Gefäße, die bis zum Hals in der Erde vergraben sind) lässt sich rund 8000 Jahre zurückverfolgen. Man kann die georgischen Qvevri-Weine aus weißen Trauben daher wohl als die ursprünglichen „Orange Wines“ bezeichnen. Bei diesen Weinen kann der Kontakt mit der Beerenschale bis zu neun Monate dauern.

Orange Wines sind faszinierende Hybriden zwischen rotem und weißem Wein: Weißweine zeigen zum Teil Strukturen und Tannine, die man üblicherweise nur in Rotweinen erwarten würde, jedoch mit der Frische und der Fruchtigkeit von weißen Trauben. Der ausgedehnte Kontakt mit der Schale bringt ein Sammelsurium ungewöhnlicher Geschmacksrichtungen hervor, von überreifen oder angeschlagenen Gartenfrüchten über Kräuter und Heu bis hin zu duftender Kamille.

Häufige Missverständnisse

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Orange Wines aufgrund ihrer Farbe, die von hellem Bernsteingold bis hin zu kräftigem Rostbraun reichen kann, vermeintlich oxidiert sein müssen. Doch Oxidation ist selten das gewünschte Ziel. Die Winzer, die mit diesem Weinbereitungsverfahren vertraut sind, sorgen in der Regel dafür, dass ihre Fässer geschlossen bleiben und nach der Gärung wieder aufgefüllt werden, um Oxidation zu vermeiden.

Seit 2005 haben sich bereits zahlreiche österreichische Weinerzeuger dem Orange Wine verschrieben. Einige stellen ihren Orange Wines nach traditioneller friaulisch-slowenischer Art her (Wildhefegärung, keine Temperaturkontrolle und minimaler Einsatz von Schwefel), während andere den verlängerten Maischekontakt in einem konventionelleren oder „moderneren“ Rahmen anwenden, um ihren Weißweinen mehr Würze zu verleihen. Dies ist auch der Punkt, an dem häufig begriffliche Unschärfen entstehen: Einige Orange Wines können auch als Natural Wines eingestuft werden, während andere nicht unbedingt in diese Definition passen müssen.

Ein letztes Missverständnis ist, dass Orange Wines immer in Tonamphoren oder ähnlichen Behältnissen hergestellt werden. Während dies auf die traditionelle georgische Weinbereitung natürlich zutrifft, verwenden die meisten anerkannten Experten für Orange Wine im Friaul und in Slowenien offene Gärbottiche aus Holz.

Ein Bild zeigt zwei Personen, die mit Alternativwein anstoßen.

Nische mit Zukunft

© ÖWM/Blickwerk Fotografie

Nische mit Zukunft

Obwohl sowohl Natural Wine als auch Orange Wine Nischenprodukte sind, können sie sich doch als spannende Ergänzung in den Portfolios vieler österreichischer Winzer*innen erweisen. Einige widmen sich inzwischen ganz ihrer Leidenschaft für Orange und Natural Wines, und den besten unter ihnen gelingt es, äußerst faszinierende und charaktervolle Weine hervorzubringen. Diese bereichern nicht nur die österreichische Weinszene, sondern haben sich auch international einen guten Ruf erarbeitet.

Autor: Simon J. Woolf & ÖWM Redaktion

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